Der Abgesang auf Europa: Wenn die Schlagbäume wiederkehren

Berlin und Paris wollen  die offenen Grenzen in Europa abschaffen. Die letzte „Merkozy“-Initiative? Doch was als ein kleines, peinliches Wahlkampfmanöver zu Gunsten von Nicolas Sarkozy daherkommt, entpuppt sich beim zweiten Blick als Teil eines schleichend stattfindenden Paradigmenwechsels. Denn er ist auf dem Vormarsch, der Nationalismus. Die Regierungen im Europäischen Rat betreiben die Renationalisierung von EU-Kompetenzen – dem Vertrag von Lissabon zum Trotz. Denn wie Heribert Prantl in der Süddeutschen richtig feststellt, gibt es zwei große Symbole der Europäischen Integration, die für die Bürgerinnen und Bürger greifbar sind: Offene Grenzen und der Euro. Der Umgang mit der Eurokrise hat das Vertrauen in die gemeinsame Währung nachhaltig geschwächt, schließt man die Grenzen – was bliebe von der europäischen Idee? Gefühlt nichts als ein unsozialer Binnenmarkt.

Wie widersprüchlich und unlauter der populistische Angriff auf den Schengenraum ist, zeigt sich schon beim Thema „illegale Migration“ – angeblich der Grund für die gegenwärtige Aufregung. Während Deutschland und Frankreich von einem Großteil der nach Europa kommenden Asylbewerber aufgrund der Dublin II-Verordnung nicht mehr erreicht werden können – oder diese gleich in die süd- bzw osteuropäischen Länder zurückgeschickt werden -, tragen Griechenland, Spanien, Polen oder Italien die Lasten der Flüchtlingsströme, meist mehr schlecht als recht. Den Preis zahlen die oft traumatisierten und ausgebeuteten Menschen, denn Europa erwartet sie mit menschenunwürdigen Aufnahmelagern und langen Verwaltungsverfahren. Statt also die Flüchtlinge solidarisch unter den EU-Staaten aufzuteilen, wird derjenige bestraft, der die längste Außengrenze hat. Als Ergebnis sehen wir die Überforderung der südlichen EU-Staaten, und als Lösung sollen nun alle EU-Bürger in Ihrer Reisefreiheit eingeschränkt werden – Absurdität mit System.

Denn zu oft werden europäische Lösungen verhindert, wenn sie gerade mal nicht das Weltbild der nationalen Regierungen passen. Deshalb hat Deutschland noch keinen flächendeckenden Mindestlohn, werden Ärzte in Krankenhäusern nach wie vor ausgebeutet, scheitern Initiativen zum sozialen Europa. Martin Schulz hat den Europäischen Rat zu Recht als permanenten Wiener Kongress bezeichnet – leider nährt die Medienberichterstattung den Eindruck, die EU bestehe nur aus unfähigen Regierungschefs, die in Brüssel von Fehlentscheidung zu Nichtentscheidung taumeln. Offenbar hat das System, um sich als „Wahrer“ nationaler Interessen in der Heimat sonnen zu können. Zwischendurch wird alles versucht, um die Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments zu umgehen – denn da droht die Ablehnung von ACTA, da wird das SWIFT-Abkommen abgelehnt, werden tatsächlich Debatten im Interesse der europäischen Bürger geführt. Das passt nicht in eine Medienöffentlichkeit, die den Regierungen die Wiederwahl sichern soll und antieuropäische Klischees zu bedienen hat. Politik gegen Europa ist meist als Kuckucksei daher kommender Populismus, Politik gegen die eigenen Menschen. So wird die Idee „Europa“ zerstört, es bleibt ein kalter, technokratischer Markt im Interesse der Finanzmärkte. Wer heute die Schlagbäume wieder aufstellen will, hat nicht die Sicherheit der eigenen Bürgerinnen und Bürger im Blick, sondern das Wohl der eigenen Wahlergebnisse im nächsten Monat. Kurzsichtiger und dümmer kann Politik kaum sein. Die Menschen haben bessere Regierungen verdient, bessere Berichterstattung, und mehr europäische Demokratie – und weniger Bevormundung durch lobbyhörige Regierungen.

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