Prag durch die Augen Kafkas
Kaum ein Schriftsteller ist so unverwechselbar wie Franz Kafka. Die Beklemmung, die Hilflosigkeit die der Leser bei der Lektüre erlebt, diese
Gefühle sind unmittelbar. Wenigstens unbewußt kennt sie jeder von uns, alleingelassen in einem Räderwerk der Bürokratie und der Entmenschlichung durch die Maschinerie der modernen Gesellschaft. In dieser Hinsicht ist Kafka aktuell, wird er immer aktuell bleiben. Umso gespannter war ich auf das Kafka-Museum in Prag. Wie würde es gelingen, die Atmosphäre und das Innenleben Kafkas in eine Ausstellung zu übertragen?
Ich kann gleich sagen: Es gelingt. Malerisch direkt an der Moldau gelegen, wird der Besucher durch das düstere Innere Franz Kafkas geführt, in denen Dokumente wie Erinnerungen, Filme und Installationen wie erlebte Gefühle als Inseln in der Dunkelheit aufleuchten.
Dabei sind es die kleinen Dinge, die besonders beeindrucken. Schwankende Kästen verursachen beim Betrachter Unsicherheit und Schwindel. Schwankend wird er wie Kafka zerrissen zwischen den Einflüssen und Ansprüchen, die auf den Autoren einwirkten. Familiäre Verhältnisse, jüdische Tradition, deutsche wie tschechische Kultur und Sprache, sein sich zusehends verschlechternder Gesundheitszustand, die Pflichten des Dienstes, Beziehungen und Liebschaften.
In dieser Verdichtung finden wir uns wieder, in dieser Zerissenheit, die wir täglich erleben, den Ansprüchen, die an uns gestellt werden und die wir an uns selbst stellen. Dem Museum gelingt es, Kafka und seine Umgebung im besten Sinne erfahrbar zu machen. Ich habe Kafka für mich ganz neu entdecken können. Gerade im Kontrast zu Prag, dieser wunderschönen, malerischen Stadt, ist die Beschäftigung mit Kafka umso intensiver, wird die Menschenfeindlichkeit der modernen Arbeitswelt, die unter der Oberfläche zivilisierter Normen lauert, offenbart. So wurde mein Pragbesuch nicht zu einem touristischen, sondern vielmehr zu einem begrüßenswert kafkaesken Erlebnis.