Flüchtlingsunglück: Europas Schande und die deutsche Schuld
Das Bootsunglück vor Lampedusa, hunderte Tote haben die mediale Aufmerksamkeit wieder einmal auf einen Schandfleck der europäischen Politik geworfen: Das alltägliche Flüchtlingsdrama am Mittelmeer. Laut letztem Bericht des UN-Flüchtlingskommissariats, UNHCR, starben allein in 2011 mehr als 1500 Menschen bei dem Versuch, über das Mittelmeer die EU zu erreichen. Griechenland, Italien, Malta, Spanien oder Zypern sind mit der Lage allein überfordert, der Menschenhandel ist lukrativ und die Überfahrt auf den überfüllten Nussschalen lebensgefährlich.
Die Berichterstattung führt nun wieder schlagartig zu einer Debatte über die europäische Flüchtlings- und Asylpolitik. Richtigerweise fordert der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, nun eine veränderte europäische Flüchtlingspolitik und die deutsche Solidarität ein. Denn die Regierung von Helmut Kohl setzte in den 90er Jahren durch, dass das deutsche Asylsystem auf die Europäische Union übertragen wurde. Im Kern bedeutete dies, dass ein Flüchtling einen Asylantrag dort stellen muss, wo er den Boden der Europäischen Union betritt. Reist er illegal weiter, z.B. nach Deutschland, so wird er in das Land des EU-Eintritts abgeschoben und sein Antrag auf Asyl wird dort weiterbearbeitet. Dies überlässt den EU-Mitgliedstaaten am Mittelmeer und an der EU-Ostgrenze die Hauptlast der Aufnahme, der Verfahren und der Unterbringung der Flüchtlinge. Dieser Grundsatz wurde in der Dublin bzw. der Dublin II Verordnung niedergelegt. Letztlich gehen wesentliche Fehlentwicklungen der EU-Asylpolitik genau auf diesen Grundsatz zurück.
Denn nicht nur konnten Deutschland und andere EU-Binnenstaaten so die Lasten des Flüchtlingsstroms auf die Randstaaten der EU abwälzen. Nein, sie hatten auch keinen Grund, sich intensiv an der Gestaltung einer europäischen Flüchtlingspolitik zu beteiligen. Maßnahmen, die der weiteren Abschreckung dienen sollen, wurden gefördert und unterstützt, so die Einrichtung und der Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Doch eine kohärente Politik – die einen vernünftigen Umgang mit den Flüchtlingen ermöglicht, der die EU-Außenpolitik einbezieht, die Fischerei- und Agrarpolitik, die den Menschen in den Regionen der Flucht nicht die Lebensgrundlage entzieht – eine solche Politik wurde nicht auf den Weg gebracht. Zwar gibt es teilweise Recht gute Standards für die Verfahren, die Aufnahme oder auch die Abschiebung von Flüchtlingen und irregulären Migranten. Aber wer einmal in Athen um den Omonia-Platz die obdachlosen Flüchtlinge gesehen hat, die sich selbst überlassen der Drogensucht zum Opfer fallen, der weiß, dass diese Flüchtlingspolitik schon lange gescheitert ist – nicht erst seit Lampedusa. Denn was nützen Standards, die von überforderten Verwaltungen nicht eingehalten werden? Es ist an der Zeit, die Lasten endlich gerecht auf die Mitgliedstaaten zu verteilen. Aber vor allem muss die EU ihren eigenen menschenrechtlichen Ansprüchen genügen, nicht nur was die Behandlung der Flüchtlinge angeht, sondern im Hinblick auf ihre Außen-, Handels- und Fischereipolitik. Deutschland trägt dafür eine ganz besondere Verantwortung, und gerade eine CDU-geführte Bundesregierung sollte endlich das Elend beenden, dass ihre Vorgänger maßgeblich mit verursacht haben.